An der Grenze des Verstandes
In Norwegen liest man ständig Bücher über den Krieg, hiervon ist der Markt überschwemmt. Wenige von diesen spiegeln ihn als ein schwarzes Loch der Zivilisation wider, ein Abgrund für Herz und Verstand. Norwegische Kriegsgeschichte ist oft die Geschichte über den Kampf für unsere eigenen Ideale und Werte ein fremde, «unnorwegische» Eindringling entgegen.(und auch den Kampf gegen unsere «Vaterlandslose» Überläufene).
In Deutschland dagegen kann der Krieg ja kaum eine erbauliche, nationale Rahmenerzählung werden, in der alles im Lot ist. Die deutsche Kriegsgeschichte ist natürlich von Selbstprüfung geprägt. Was haben deutsche Nationalisten nicht alles unter der Fahne "Treue zum Vaterland" begangen?
Für mache Leute stellten der Krieg und die Judenaus-rottung in diesem Jahrhundert keine Anfechtung dar, sondern wird genauso als Tatsache gesehen wie es klar ist, daß man nach dem Sturz aus dem 10. Stock tot ist. So ist nun einmal die Welt eingerichtet, sagen sie, und rotzdem: Diejenigen, die nicht einmal innehalten und über diese Tatsache als "Zivilisationsproblem" nachdenken, diejenigen, die also die unfaßbaren Schandtaten dieses Jahrhunderts als trivilaen Fakt abtuen, bewegen sich total an der Oberfläche.
In Deutschland ist J.Amery ein bekannter Verfasser, in Norwegen dagegen fand sich lange kein Verleger. Aber 1994 erschien "Jenseits von Schuld und Sühne" im Document Verlag. Allerdings wurde es, abgesehen von einer Kritik in der Tagespresse, mit Schweigen bergangen. Amery hat verschiedene Menschen im Konzentrationslager beschrieben. Er erwähnt die, die sagen: „Es wird immer Krieg geben" und zieht die Schlußfolgerung, daß der volkstümliche Fatalismus weit zweckmäßiger ist als der von den Intellektuellen bei der Begegnung mit der radikalen Bosheit produzierte zwecklose Protest gegen die Beschaffenheit unserer Welt.
Die klare Vernunft des Verfassers hat die Vorstellung einer normalen, zivilisierten, humanen Welt herausgefordert. Es ließ sich einfach nicht mit ihren eigenen Erfahrungen in Einklang bringen. Amery sieht sich völlig allein und vollständig seinen "Gegen-Menschen" ausgeliefert. Menschen, die aus ihm alle jene Werte herausgetreten haben, die er bisher als allgemeingültig betrachtet hat. Sie waren es nicht. Die Juden waren allein, ohne jemanden, an den sie ihre Apelle hätten richten können. Was die reale Welt ist, erfuhr er als die alte verging. Als ob es bloß ein Traum war, aus dem er schroff geweckt würde. Amery hat etwas ganz anderes erlebt. Er will nicht vergessen. Er hat das Deutschland der Nachkriegszeit erlebt. Aber warum sollte er glauben, daß die Nachkriegszeit die Wirklichkeit ist, und Auschwitz ein schlechter Traum? Es scheint ihm, daß es sich gerade umgekehrt verhält.
Sie hatten sich von im abgewandt, fast jeder Mensch in das alte Deutschland wozu er sich als zugehörend meinte. Er war nicht mehr ein Teil von ihrer Gemeinschaft. Amery betrachtet sich selbst nicht als Jude, er war vor allem sich selbst: ein individuell Angehöriger einer Deutschen Gesellschaft. Er war, wie so viele, ein nichtreligiöser Jude, er hatte mit der Welt seiner Urgroßeltern wenig gemeinsam. Aber hilft es, wenn Du Dich als etwas bezeichnest, während die Welt darauf besteht, daß Du ein anderer bist?
Das Essay Amerys über Heimatgefühl und Zugehörigkeit ist eines der einsichtsvollsten und ergreifendsten, das auf norwegisch auf diesem Gebiet überhaupt vorliegt. Als Flüchtling in Frankreich und Belgien hat es ihm kein Trost gegeben, über «das anderen Deutschland» zu denken. Dazu war auch nicht der kleine Kreis immigrierter Anti-Nazisten geeignet - eine winzige Insel in einem Meer von Gleichgültigkeit, Feigheit und Verachtung. Amery verlor sein Vaterland. Er hatte niemanden, dem er sich zuwenden konnte, keine Instanz, an die er appelieren konnte.
Amery erinnerte sich nach den Krieg nicht nur an die Wildtiere in SS-Uniform. Er erinnert sich an die abgewandte Gesichter, die jene gleichgültig zufriedene Zivilisten die z.B. ein «Judenmantel» organisiert haben. Die der glatt jüdische Besitztum übernommen habe, und später es nur widerwillig zurückgeben mußten, weil es «also noch» einiger Überlebenden gab.
Nach solchen Erlebnissen scheint der heutige wohl geölte Wohlfahrtsstaat sich etwa unwirklich und bedrohlich. Wieso glauben wir, daß jeder etwas gelernt hat von einer Vergangenheit, die niemand mehr hören will? Warum sollte man an Wandlung glauben, wenn die selbstgefälligen Henker jetzt mit satter Zufriedenheit als respektierte Mitbürger leben und wirken? War Auchwitz eine Klammer, eine Ausnahme, oder war es gerade die Wahrheit, die man erwarten konnte? Du siehst sie friedlich auf dem Bürgersteig spazieren. Nachkriegsmenschen in wohl geordneten Verhältnissen. Satte, zufriedenene oder besorgte - sie alle denken nur an Morgen. Sie wollen nicht mehr das sinnlos Böse von gestern hören.
Warum solltest Du Vertrauen zu der heute selbstverständlichen Freundlichkeit fassen? Die Zeugnisse der Opfer klingen wie anmaßenden unwirkliche Stimmen aus einer immer ferneren Welt.
"Es gibt keinen Alltag mehr" schreibt Gunvor Hofmo. Sie hat das Gedicht in einer Zeit geschrieben, die uns jetzt fern scheint, eine Zeit, die die Wahrheit über Holocaust gerade bewältigt hat. Was sollen wir jetzt sagen? "Krieg wird es immer geben" sagen wir. Und wir zucken die Achseln während wir die vielen jüngeren Beispiele von Morde gegen unerwünschter Volksgruppen aufzählen.
"Na und" ? Sind alle Juden vergeblich gestorben, ist ihr Los wieder Alltag geworden? Ist Amery ein unzeitgemässiges apropos, ein Verstörter der konstruktiven, nach Zukunft gerichtete Gegenwelt die das Böse hinter sich liegen muß und wollen ? So wird es vielleicht aufgefaßt. Sein Fremdheitsgefühl bricht mit verzweifelter Intensität durch in seinem Essay über den Widerwillen gegenüber dem Nachkriegsdeutschland des 60-Jahre. Amerys lakonische Feststellungen blieben ein Protest gegen das Böse. Ein nüchterner, konkreter und mäßiger Realismus. Und trotzdem ein metaphysischer Protest, wie P.W. Zappfe es in seiner Abhandlung "Über das Tragische" formuliert.
"Sollen wir, die noch leben, die Ernte des Todes zählen" heißt es in einer griechischen Tragödie. Aber ausgerechnet das tut unser metaphysischer Mensch: Er zählt den Herbst des Todes, und führt ihnen mit seine Hand voran und fordert ein Sinn mit ihrem Leben. Und er zählt den ungeborenen Keim und alle stehen ihm so nahe, weil sie Menschen sind. Durch seine metaphysische Forderung ist er ein Gott, weil er die Welt in seinem Herzen trägt und ein Sklave, weil dieses Gewicht steht im Begriff ihm zu malmen.»
In der klaren Sprache Amerys findet sich kein morbider oder esthätisierender Ton eines falschen Weltschmerzes auf sicherem Abstand. Amery ist der Meinung, daß das einzige, das den Überlebenden das schwere Gewicht dieser Erlebnisse ein bißchen erleichtern kann, ist, daß es entgegenhalten wird Den Henkern gegenüber, unserem kollektiven Bewußtsein gegenüber. Wenn nicht, werden die verstoßenen wieder ein unerwünschter und beschwerlicher Rest werden, den wir am liebsten vergessen.
Dies ist also passiert. Wenn die sich nicht als eine Gewissheit über uns selbst verstanden wird, wird es sich mit schlafwandlerischer Sicherheit wiederholen. Vielleicht ist was falsch mit dieser Unversöhnlichkeit der Intellektuellen, mit ihrem Widerwillen, sich mit einer religiösen oder politischen Erklärung zufrieden zu geben, die das radikal Böse begreiflch, erklärbar und letzten Endes selbstverständlich macht. Aber ohne solche Menschen wären wir alle ärmer, dümmer und gefährlicher. Das allein rechtfertigt den Wert und den Nutzen der Autorschaft Amerys, aber es macht das Leiden nicht sinnvoll. Die Jagd nach Seelenfrieden muß an anderen Stellen stattfinden, aber für jeden, der Reflexion und Verständnis sucht, ist dieses Buch zu empfehlen.
Ivar Bakke
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